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350. Todestag des Dichterpastors: Johann-Rist-Gesellschaft bietet begeisterndes Konzert voller wohliger Überraschungen.
Ein ganzes 350 Jahre altes Schloss voller unterschiedlicher Räume zum musikalischen und poetischen dreistündigen Spaziergang hat die Wedeler Johann-Rist- Gesellschaft den entzückt lauschenden Zuhörern in der Immanuel-Kirche geboten. Und das mit so viel feinen kleinen Details, höchst anspruchsvoll und überraschend ausstaffiert – das Publikum ging anschließend ganz voll gepackt mit neuem Wissen, Lebensfreude und Nachdenklichkeit, alten und doch so neu erscheinenden Klängen und Liedern vollauf begeistert nach Hause. Barockmusik rockt – vor allen Dingen, wenn sie so empathisch und engagiert gespielt wird wie hier.
Völlig gleichberechtigte Anteile an dem Erfolg des Konzerts mit dem Titel „Lebensart und Sterbenskunst des Johann Rist“ hatten das Ensemble Schirokko mit seinen historischen Instrumenten und das Vokalensemble Cimbrische Cantorey Wedel, das sich seit seiner Gründung 2013 mit der Alten Musik befasst. Dazu kommt Professor Sven Grosse von der Theologischen Hochschule Basel, der in seinen Forschungen über die poetische Theologie der Barockzeit in Hamburg quasi über die Werke des Wedeler Pastors Johann Rist gestolpert ist und letztendlich zu einer Bekanntschaft mit Matthias Dworzack, dem Vorsitzenden der Johann-Rist-Gesellschaft, Kulturmanager und Ensembleleiter in Wedel. Letzterer holte den Barock- und Rist-kundigen Theologen für dieses Konzert als „Wissensvermittler“. Und der Professor war es auch, der das Gleichnis des Schaffens von Rist mit dem Schloss und den vielen unterschiedlich eingerichteten und genutzten Zimmern anbot. „Das geht bis in das innere schwarz tapezierte Zentrum, wo der Mensch ohne Kleidung dem Auge Gottes bei seinem Tode gegenübertritt“, beschrieb Grosse das sinnbildliche Bauwerk.
So war das gesamte Konzert folgerichtig in zwei unterschiedliche Abteilungen getrennt, die mit den lebenslustigen und sinnlichen Liedern und Epigrammen aus Rists Liedersammlung „Des Daphnis aus Cimbrien Galathee“ und die dazu sehr gegensätzlichen „Himmlischen Lieder“ und als Höhepunkt die erste Wiederaufführung des „letzten Schwanengesangs auf Johann Rist“, der Musik, die zu der Trauerfeier des Wedeler Pastors 1767 gespielt wurde.
Im ersten Teil mit der Liebesgeschichte des Daphnis zur schönen Galathee zeigten Musiker und Sänger all die Klangfülle, Lebendigkeit und faszinierende Freude auf, die die Musik und Poesie des Barock bereit hielten. Das waren vor 350 Jahren die Hits von damals – und jeder und jede konnten das in der Immanuel-Kirche heute noch nachvollziehen. Diese Barockmusik rockt – und macht Lust auf mehr.
Sonder-Applaus für Tilman Clasen
Gewichtigen Anteil daran hatte Tilman Clasen. Der vielfach ausgezeichnete Nachwuchsstar aus Altendeich hob mit seiner Blockflöte die Musik in sphärische Höhen. Ein kleines Wunder, was der schlaksige 17-Jährige da mit seinen quicklebendigen zehn Fingern auf der kleinen Holzflöte vollbringt. Seinen Sonder-Applaus mit stehenden Ovationen am Ende hat er sicherlich mehrfach verdient.
Als weitere Überraschung hatte Matthias Dworzack vier hervorragende Solisten engagiert. Unter ihnen der Tenor Jan Kobow, der als Interpret von Barockmusik einen durchaus bekannten Namen hat und ihn hier prominent ausfüllte.
Eine weitere Überraschung war das Engagement eines Countertenors. Matthias Dähling aus Hamburg übernahm diese selten besetzte Stimmlage. Das Ensemble Schirokko wartete im zweiten Teil mit vier Viola da Gambas auf. Die „Kniegeige“ war im Barock das Instrument zu traurigen festlichen Anlässen. Clasen spielte hierzu die Altblockflöte und ebenfalls im Ensemble Schirokko die seltene über mannshohe Bass-Laute.
Alles in allem ein Konzert der Superlative, ein Überraschungs-Ei, mit dem es etwas zu schauen, zu hören, zu lernen, zu genießen und zum Nachdenken gab: Gerne und bald bitte mehr davon.