Brich an, du schönes Morgenlicht,
Und lass den Himmel tagen!
Du Hirtenvolk, erschrecke nicht,
Weil dir die Engel sagen,
Dass dieses schwache Knäbelein
Soll unser Trost und Freude sein,
Dazu den Satan zwingen,
Und letztlich Friede bringen.
Quelle: …
Johann Rist entwickelte in Kooperation mit bedeutenden Musikern seiner Zeit wie Johann Schop, Heinrich Scheidemann oder Andreas Hammerschmidt ein umfassendes, kulturgeschichtlich bedeutsames Arienkonzept. Viele dieser Schöpfungen waren so beliebt, dass eine ganze Anzahl von ihnen durch melodische Vereinfachungen in gemeindetaugliche Kirchenlieder umgewandelt wurden – in machen Kirchengesangbüchern finden sich über die Jahrhunderte hinweg bis zu 30 Lieder aus der Feder des Wedeler Pfarrers.
An den Kantaten des 1734 komponierten Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach lässt sich gleich mehrfach nachvollziehen, welche Inspirationsquelle die Rist-Texte für den Thomaskantor darstellten. Die gleichermaßen wort- und bildgewaltigen wie sprachlich sensiblen Dichtungen begegnen uns herausgelöst aus dem ursprünglichen musikalischen Kontext ihrer Originalvertonungen, etwa in der Kantate zum 2. Weihnachtstag, wo Bach den berühmten Rist-Text „Brich an, du schönes Morgenlicht, und lass den Himmel tagen“ vertont.
Die Originalmelodie Johann Schoops stammt aus Rists erster geistlicher Liedersammlung, den „Himmlischen Liedern“ von 1642. Bach verwendet sie, allerdings nicht in ihrem ursprünglich tänzerischen Charakter, sondern in einer rhythmisch geglätteten Form, die dem zu seiner Zeit modernen Kirchenstil entspricht. Und das ist das Erstaunliche: Auch nachdem der zeittypische Musikgeschmack späterer Komponistengenerationen ein ganz anderer geworden ist, bewahren die Dichtungen Rists ihre ursprüngliche künstlerische Attraktivität, etwa für Dietrich Buxtehude oder Johann Sebastian Bach, die sie vielfach als Grundlage ihre Kompositionen nutzen.