von Margot Rung
13. November 2018, 16:00 Uhr
Normalerweise finden auch heute noch die Künste getrennt voneinander statt: Musik im Konzert, Kunst im Museum, Literatur im Buch. Der Johann-Rist-Gesellschaft ist die Verknüpfung dreier Künste mit einem herausragenden Konzert unter dem Motto „Es ist genug“ gelungen. Zudem war dieses verknüpft mit einer Botschaft zum Kriegsende vor 100 Jahren, „der erste Krieg mit industriell hergestellten Waffen“,zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht und dem Beginn des 30-Jährigen Krieges vor 400 Jahren.
Die Immanuelkirche mit ihrer sehr guten Akustik und dem leicht erhöhten Altarraum bot hierfür den geeigneten Raum. Dieser war am frühen Sonntagabend schön ausgeleuchtet, die große Leinwand positioniert in Form eines Kreuzes. Elf Lithographien von Oskar Kokoschka aus seinem Zyklus „O Ewigkeit, du Donnerwort („Bachkantate“) von 1914/1916 wurden hierauf projiziert, auch Paul Klees vieldeutiges Werk „Mystische Landschaft mit Gestirnen und Kreuz“ von 1917. Dem gegenüber standen Texte des Wedeler Dichters und Pastors Johann Rist, die wiederum von Bach vertont wurden. Seine Kantaten BWV 60 und 78 standen im Mittelpunkt des Konzerts.
Bachs Kantaten spenden Trost und beklagen nicht. Überhaupt ähnelte das Konzert in seiner Gesamtwirkung einem schnörkellosen Oratorium. Wie schön, dass sich Kirchenmusikdirektor Matthias Dworzack mit seinem Ensemble Cimbrische Cantorey an die geniale Musik, die schwer zu spielen und zu singen ist mit den Rist-Texten, die sich mit Furcht und Vergehen, Tod und Hoffnung beschäftigten, wagte.
In ergreifender Weise ist dieses Konzerterlebnis den Sängern der Cantorey sowie den Solisten und Instrumentalisten des Barockensemble Schirokko unter der Leitung von Dworzack gelungen. Ina Siedlaczek (lyrischer Sopran), Matthias Dähling (Altus), Florian Sievers (Tenor) und Jonathan Macker (Bass) zelebrierten die Arien mit brillantem Können. Den Gesprächsteil moderierte Dr. Thomas Gädeke vom Landesmuseum Schloss Gottorf mit voller Konzentration. In der Arie „O Ewigkeit“, du Donnerwort“ präsentierten Dähling als Altus die Furcht und Tenor Sievers die Hoffnung. Gädecke erläuterte hierzu etwa die Lithographie „Wanderer im Gewitter“, eines der so berührenden Werke Kokoschkas, „des Pessimisten“, leidend an seiner Liebe auch zu Alma Mahler, „er reflektierte sich in der Kunst“, so Gädeke. Seine Bildnisse von Mann und Frau seien Allegorien des Prinzips Furcht (Mann) und Hoffnung (Frau).
Die Sinfonia aus der Kantate „Am Abend aber desselbigen Sabbaths“ gestaltete das Ensemble Schirokko zu Beginn in wunderbarer musikalischer Übereinstimmung. Mit warmem Ausdruck entfaltete sich subtil der Instrumentalklang, unterstützte die Solisten vorzüglich. Der Aussage der Hoffnung verlieh Siedlaczek mit weichem Ausdruck in ihrer silberhellen Stimme Gefühl. „Wir eilen mit schwachen, doch emsigen Schritten, o Jesu, o Meister, zu helfen dir . . .“
Dworzack dirigierte mit Leidenschaft, angenehmer Zurückhaltung und dem Anlass geschuldeter Innigkeit. An leisen, langsamen Stellen nahm er vorbildlich Stimmen und Musiker zurück, sodass die milde Atmosphäre der Bach‘schen Kantaten fein zum Ausdruck kam und das Publikum sich zusätzlich auf die Kunst einlassen konnte. Momente der Kontemplation waren möglich.
Zum Konzerterlebnis trug bei, dass Dworzack während der rund 120-minütigen Aufführung das Gesamtwirken aller Beteiligten souverän und mit Bedacht im Blick hatte. Erst nach gefühlter Stille nach dem letzten Ton war lang anhaltender, kräftiger Applaus aus den vollbesetzten Kirchenbänken zu hören.
– Quelle: https://www.shz.de/21633917 ©2018