Die Tragödie „Perseus“ als Beispiel für das dramatische Schaffen Rists

Keine Hochzeit und 8 Todesfälle

Abbildung 1 Thronrat: Perseus 2. von  links, Demetrius 2. von rechts

Die Tragödie „Perseus“ aus dem Jahre 1634 behandelt in drei Akten und zwei Zwischenspielen den Konflikt zwischen zwei feindlichen Brüdern. Der Stoff entstammt einer vom römischen Historiker Titus Livius beschriebenen Episode. Rist schrieb das Drama mit 27 Jahren.

1. Akt

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Abbildung 2 Hans Knappkäse und seine Truppe

Philipp von Makedonien (Mitte) sieht sein Königreich durch die übermächtigen Römer bedroht. Während sein aufschneiderischer und waghalsiger Sohn Perseus (2. von links) sich für einen Krieg gegen die Römer ausspricht, mahnt Demetrius, der zweite Sohn (1. von rechts), zur Vorsicht. Es gelingt ihm aber nicht, den Vater zu überzeugen. Bei einem Thronrat warnt auch Antigonus (2. von rechts), der Cousin des Königs, vor unbedachten militärischen Unternehmungen, während Didas, der Hofmeister, ein intriganter Schleimer (1. von links), sich auf die Seite des Perseus stellt.
Im ersten Zwischenspiel wirbt der Kompanieführer Hans Knapkäse, ein Wichtigtuer und Dummkopf, seine Truppe [1] an: einen einäugigen Soldaten, einen weiteren Kandidaten mit krummen Beinen und den Platt sprechenden, bauernschlauen Laban. Schon beim ersten Anzeichen von Gefahr werfen sie alle die Waffen fort und fliehen.

2. Akt

Abbildung 3 Eudocia und Demetrius

Höchst theatralisch verkündet Perseus seine Absicht, aus dem Leben zu scheiden, weil er bei einem Ritterspiel seinem Bruder im Zweikampf unterlegen war und die Blamage nicht ertragen kann. Die Niederlage wiegt umso schwerer, weil sie sich vor den Augen von Eudocia, der Tochter des Statthalters Poridis, abgespielt hat, in die Perseus verliebt ist. Didas überredet ihn jedoch, lieber am Leben zu bleiben und sich stattdessen an Demetrius zu rächen. Eudocia und ihr Bruder sind sich einig in ihrer Zuneigung für Demetrius, dessen Klugheit und Umsichtigkeit sie schätzen. Eudocia gesteht dem Publikum ihre heimliche Liebe zu Demetrius, ebenso wie Demetrius später seine unverbrüchliche Liebe zu Eudocia den Zuschauern bekundet. Schließlich finden die beiden Liebenden zueinander. Perseus hingegen hat Didas als Unterhändler ausgesandt, um um Eudocia zu werben. Die Ablehnung kränkt ihn zutiefst und er spinnt auf Anraten Didas‘ eine Intrige, wonach mit den Römern zunächst ein falscher Friede ausgehandelt und Demetrius als Geisel nach Rom geschickt werden soll. Von diesem Plan wird Philippus im Thronrat überzeugt, obwohl Antigonus erneut abrät und dafür plädiert, dass „ein auffrichtiger/wolgemeinter unnd bestendiger Friede“ auszuhandeln sei. Auch Poridis warnt davor, gegenüber den Römern Friedenseide zu schwören, die man anschließend brechen will. Aber Philipp lässt sich nicht überzeugen, und so muss Demetrius als gehorsamer Sohn nach Rom aufbrechen und von Eudocia Abschied nehmen.

Abbildung 4 Knapkäse mit seiner Truppe und Telsche

Im zweiten Zwischenspiel werben der Unteroffizier Hans Knapkäse, der Bauer Laban und der Aufschneider Lurco um die Jungfrau Telsche, ein junges Mädchen aus dem Volk, das nicht auf den Kopf gefallen ist und die drei Männer gehörig zum Narren hält. Sie treibt derbe Späße mit ihnen: So veranlasst sie Knapkäse, in einen Sack zu kriechen. „Oh Ja/ ja mein Hertzgen/ich will gerne alles thun, was jhr mir befehlet. (Nun kreucht er mit seltsamen Ceremonien in den Sack/machet viel Auffzüge dabei ehe er hinein kompt). [2] Wenig später bringt das Mädchen unter einem Vorwand Lurco dazu, den Sack zu bewachen. Telsche lacht gahr hönisch und spricht zu den Spectatoribus: Dat syn my ein pahr Narren auer alle narren/de eene let sich dartho brüden/dat he in den Sack krupt/ und de ander Geck steit darby unde holt die Schiltwacht/ dat ehn nemandt wegstelen schal.“ [3]

3. Akt 

Auf Anraten von Didas bezichtigt Perseus bei seinem Vater Philipp seine drei Gegner, Poridis, Alexander und Eudocia, des Verrats im Verbund mit Demetrius und legt dafür einen Brief als fingierten Beweis vor. Philipp ist darüber unbeherrscht erbost und sendet Soldaten aus, um die drei gefangen zu nehmen, obwohl Antigonus zur Bedachtsamkeit und genauen Prüfung der Anschuldigung rät. Poridis und seine beiden Kinder glauben nicht mehr an die Gerechtigkeit oder an eine Möglichkeit zur Flucht. Eudocia überzeugt die beiden anderen, dass ihnen nur der Freitod offensteht. Eudocia stirbt durch Gift, die beiden Männer stürzen sich in ihre Waffe. Kaum sind die drei gestorben, erscheinen drei Gespenster und umspringen, Instrumente spielend, die drei Toten, während hinter der Szene ein Knabe ein trauriges Lied anstimmt.

Abbildung 5 Philipp übergibt die Herrschaft an Antigonus

Zunächst erstaunt, doch dann erfreut vernimmt Perseus die Kunde vom Tod seiner Gegner und beschließt nun auch gegen Demetrius entschieden vorzugehen. Dieser kommt gerade nichtsahnend aus Rom zurück und erfährt vom Tod seiner Geliebten und deren Verwandten. Auch er wird im Thronrat denunziert, es gelingt ihm nicht, seine Unschuld unter Beweis zu stellen, und so ergeht der Befehl, den Prinzen zu enthaupten. Die Schüssel mit dem abgeschlagenen Kopf wird dem Publikum präsentiert. „Sehet / dieses ist das Ende des allervortrefflichsten Prinzen Demetrij, (…). Der Neid aber/ und das matialische Gemüht seines grimmigen Bruders Persei, hat jhn so tieff wiederum erniedriget/ daß er auch dem allerärgesten Missethäter gleich / gantz grausahmlich hat müssen hingerichtet / und vom Leben zum Tod gebracht werden.“ [4]

Aus nicht näher erläuterten Gründen erkennt Philipp schließlich, dass er sich in Perseus geirrt und sowohl Poridis und seine Kinder als auch Demetrius zu Unrecht in den Tod geschickt hat. Voller Reue übergibt er die Herrschaft an Antigonus, doch Perseus lässt das nicht zu und will Antigonus erstechen, tötet aber versehentlich den Vater, der sich vor seinen Cousin gestellt hatte. Als Antigonus fliehen will, wird er von Didas erschossen.  
Aus Furcht, dass die Makedonen ihn für seine Missetaten grausam bestrafen, hängt sich Didas selbst auf.  Ebenfalls aus Furcht vor Vergeltung und gejagt von den Geistern der Verstorbenen, die ihm auf der Szene erscheinen, begeht unter Verfluchungen schließlich auch Perseus Selbstmord.  

Das Drama spart nicht mit Effekten. Die einfachen Leute mit ihren derben Späßen und ihrer drastischen Sprache „Du leichtfertige Courannie, wilt du mich nicht haben/so lecke mich im Arse unnd lass bleiben / ich wol an ein anderen Ohrt kommen / da man etwas schönere und redlichere Tungkfrawen findet / unnd sollte dich heßliches Rabenaas der Teuffel bescheissen“ [5] tragen zur Unterhaltung ebenso bei wie die zahlreichen Selbstmorde unterschiedlichster Methode sowie Gruseleffekte, z. B. beim Auftritt der Geister oder der abgeschlagene Kopf, und die Musik.  

In der Vorrede geht Rist auch auf die Vorgabe von Opitz ein, die dieser im „Buch von der Deutschen Poeterey“ formuliert:

„Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte gemeße / ohne das sie selten leidet / das man geringen standes personen und schlechte sachen einführe (…)“ [6]

Rist, der Theologe, hat als Publikum seines Stückes auch das einfache Volk vor Augen. Man möge entschuldigen, so rechtfertigt sich Rist, „daß ich den Legibus Tragoediarum zu wider fast gar zu viel lustiger Auffzüge vnter ernsthaffte vnd traurige Sachen gemenget / vnd also wol wissendt des rechten weges verfehlet habe. Wollen demnach die jenige / so der Sachen guten verstand haben / betrachten / daß ich mit gegenwertigen Intersceniis so dem gemeinem Manne (als der mit solchen vnd dergleichen possirlichen Auffzügen am allermeisten sich belustiget) vornemlich habe gratificiren vnd dienen / mit nichten aber dieses oder jenen Landes sitten / gebrauche spräche vnd gebärde dadurch auffziehen oder verspotten wollen. [7]

Dramaturgisch weist das Stück Lücken und Unzulänglichkeiten auf. Handlungsmotive und Stimmungswechsel werden kaum erklärt. Das gilt ganz besonders für die Handlungsweise Philipps, der sich nur allzu leicht von der Liebe zu seinem Sohn Demetrius abbringen lässt und dessen Einsicht am Schluss aus dem Nichts kommt. Es wird deutlich, dass in den Schauspielen des Barock noch keine differenzierten, wandlungsfähigen Charaktere zu sehen waren, sondern festgelegte starre Figuren, die allerdings bei Rist schon zu starken, die ganze Figur erfassenden Affekten fähig waren. Der Krieg stellt eine Art Tableau für die Handlung dar, der Kriegsverlauf selber bleibt nebulös und beeinflusst auch kaum das Verhalten der Figuren. Die Szenen sind in der Regel nicht auf die Austragung von Konflikten ausgelegt. Die Figuren sprechen vor sich hin – in Monologen – oder mit Gleichgesinnten, häufig auch „ad spectatores“, allein in den Thronratszenen kommt es zu Dialogen der Konfliktparteien. Manche Teile der Handlung werden mehrfach wiederholt dargestellt, ohne dass sich daraus für den Zuschauer etwas Neues ergibt, dies gilt insbesondere für die Liebeserklärungen von Eudocia und Demetrius.  

Horaz folgend, wonach die Literatur sowohl unterhalten (delectare), als auch nützen (prodesse) solle, lässt Rist einen Trabanten angesichts der Schüssel mit dem abgeschlagenen Kopf des Demetrios die Botschaft „sic transit gloria mundi“ verkünden:  
„Nemet hier ein Exempel / alle die jhr auff ewer hohes Geschlecht vnd Ankunft / grosse Macht / Pracht / Reichthumb / Ehre vnd Herligkeit / sonderlich aber vf daz wanckelbahre Glücke trotzet / trawet vnd bawet / sehet / so baldt / leicht und geschwinde / kann es alles / vnd zwahr mit vnerhörter Quahl / Angst / Kummer und Hertzeleidt / gleich wie ein Schatte / eine Bluhme / ja Rauch und Dampff verschwinden.“ [8]


1 Die Namen der „Kämpfer“ sind mit Bedacht gewählt: Cocles ist der Name eines bei Livius gefeierten einäugigen Helden der römischen Geschichte, der hier parodiert wird. Loripes bedeutet „Der Humpelnde“.
2 Rist, Johann, Perseus, Berliner Ausgabe, 2013, S. 61
3 Textausgabe S. 63
4 Textausgabe S. 91
5 Textausgabe S. 57f. (Hans Knapkäse zur Jungfrau Telsche)
6 Opitz, Martin, Buch von der Deutschen Poeterey (1624), Reclams Universalbibliothek, Nr. 18214, Stuttgart 2002, S. 30
7 Textausgabe, Vorrede S. 7f.
8 Textausgabe S. 91f.

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