Johann Rist und das Theater

Von Nanette Vibach

Abbildung 1 Johann Rist über das Schultheater 1634, Wand zum Theatersaal im Johann-Rist-Gymnasium

Johann Rist verfasste rund 30 Schauspiele, von denen allerdings nur 6 erhalten sind. Zeitlebens war der Wedeler Pastor gleich auf mehreren Feldern ein Liebhaber des Theaters: als fleißiger Theatergänger und aufmerksamer Zuschauer, als Darsteller, als produktiver Dramatiker und als Theatertheoretiker.

Schon in seiner Kindheit war Rist vom Theater fasziniert, das er durch die Gastspiele englischer Wanderbühnentruppen in Hamburg kennenlernte. Seine ersten dichterischen Versuche galten daher dem Drama.
In über 3 Jahrzehnten schuf er ein umfangreiches dramatisches Werk. Von 18 der verschwundenen Werke kennen wir immerhin die Namen, z.B. Wallenstein oder Herodes. Die meisten Dramen lagen nur in handschriftlicher Form vor und wurden wohl 1643 bei der Plünderung und Verwüstung von Rists Wohnung in Wedel vernichtet.
Erhalten sind die sechs Stücke, die gedruckt wurden. Von diesen beschäftigen sich 3 explizit mit dem Thema Krieg und Frieden, dem zentralen Thema der Zeit.

Abbildung 2 Titelkupfer des Monatsgesprächs

Der Form nach unterscheiden sie sich sehr deutlich:
Während bei dem 1653 entstandenen Hochzeits-Ballet „Die Triumphirende Liebe“ Musik und Tanz im Vordergrund stehen, sind die beiden Dramen „Das Friedewünschende Teutschland“ (FwT) von 1647 und „Das Friedejauchzende Teutschland“ (FjT) von 1653 Singspiele, also Sprechstücke, in die Lieder eingefügt sind.
Als Sprechstücke kann man „Irenaromachia“ von 1630 und „Perseus“ von 1634 bezeichnen, da sie nur an einzelnen Stellen oder zwischen den Akten eine Musikbegleitung haben.
Bevor er Pastor in Wedel wurde, spielte Rist auch selbst gern Theater, was dazu geführt hat, dass er stärker als seine Vorgänger auf die Spielbarkeit und Wirkung der Stücke achtete. Im Wesentlichen blieb Rist aber den Theatertraditionen seiner Zeit verhaftet.
Bemerkenswert sind jedoch die von ihm entwickelten Mischformen, z.B. das Einflechten komödiantischer Elemente in Tragödien. Eigenständig und neuartig ist auch die differenzierte sprachliche Gestaltung der Stücke.
Am Ende seines Lebens setzte sich Rist noch einmal in einem Monatsgespräch, einer fiktiven Diskussion, mit seinen Theatererfahrungen auseinander. Im April 1666 erschien die AllerEdelste Belustigung Kunst- und Tugendliebender Gemüter. Als Zuschauer hatte Rist Aufführungen vor allem englischer und niederländischer Wanderbühnen gesehen und sich durch Berichte anderer Besucher und aus Büchern über die neuesten Entwicklungen informiert. Seine Vorbilder fand er auch beim Schultheater und den volkstümlichen Fastnachtsspielen. Diese Kenntnisse und sein vorurteilsfreier Umgang damit verhalfen ihm dazu, differenziert zu den Möglichkeiten des Theaters Stellung nehmen zu können.

Rist schrieb seine Dramen für die Wanderbühne. Das erklärt die häufigen Wiederholungen und die Betonung des Visuellen. Um die Aufmerksamkeit zu erhalten, wurden auch in die Tragödien nach englischem Vorbild Zwischenspiele eingeschoben, die beim Publikum für Unterhaltung sorgten. Gerade diese Zwischenspiele verleihen Rists Dramen besondere Lebendigkeit, durch ihre Situationskomik einerseits, aber auch durch den niederdeutschen Dialekt, wie überhaupt durch die sprachliche Differenzierung und die realistische Dialoggestaltung. Rist parodiert auch die alamodische Sprache.

In der Haupthandlung treten dagegen ganz im Stil der Zeit im Wesentlichen allegorische Figuren auf, die an ihren Kostümen gut zu erkennen sind. In langen Monologen deklamieren sie ihre Befindlichkeit und breiten ihre Vorhaben aus. Im Barockzeitalter war es üblich, dass eine bestimmte Figur nach strengen, festgelegten Regeln auf der Bühne sprach und sich bewegte, sie wurde von den Darstellerinnen und Darstellern eher präsentiert als individuell verkörpert. Erst im 18. Jahrhundert entwickelte sich eine Theaterkunst, die entwicklungsfähige Persönlichkeiten erfand.

Rist Regieanweisungen erwecken den Anschein, als sei er deutlich mehr an der Praxis als an theoretischen Überlegungen orientiert gewesen. Er schrieb nicht nur den Text, sondern hatte auch konkrete Vorstellungen von Beleuchtung, Kostümen, Bühnenbildern, Bühnenaufteilung, Gestik, Mimik, Stimmfärbung und stummem Spiel der Schauspieler und Schauspielerinnen. Geräusche und vor allem Musik sollten die Bühnenwirkung seiner Dramen verstärken. Auch bei den Auftragsarbeiten blieb Rist seinem Stil treu und sparte nicht mit „Theaterdonner“.

Ziel war es, beim Zuschauer starke Affekte auszulösen, die diesen zu einem sittlichen Lebenswandel bekehren sollten. Denn für Rist war das Theater vor allem eine moralische Anstalt, der er wohl mehr zutraute als der eigenen Predigt. Vor allem in seinen späten Werken FwT und FjT wird dies deutlich: Der Frieden ist bei Rist eine Gnade Gottes, die nur durch Reue und Buße der Menschen erlangt werden kann.

Abb. 3 Schlusskupferstich des Monatsgesprächs „AllerEdelste Belustigung“

Literaturverzeichnis

Textausgaben
Opitz, Martin
Buch von der Deutschen Poeterey (1624), Studienausgabe
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18214, Stuttgart 2023

Rist, Johann
Die AllerEdelste Belustigung Kunst- und Tugendliebender Gemüther – Vermittelst eines anmuhtigen und erbaulichen Gesprächs Welches ist dieser Ahrt, die Vierte, und zwahr Eine Aprilens-Unterredung, Hamburg 1666

Rist, Johann
„Die triumphirende Liebe“ gedruckt bei Jacob Rebenlein, Hamburg
Wolfenbütteler Digitale Bibliothek; http://diglib.hab.de/drucke/textb-4f-50/00001.jpg

Rist, Johann
Irenaromachia, hrsg. von Michael Holzinger, Berliner Ausgabe 2013


Risten, Johann
Das Friedewünschende Teutschland, und, Das Friedejauchzende Teuschland, Augsburg 1864, Neuauflage London 2017

Sekundärliteratur

Brecht, Martin,

Evangelische Friedensliteratur: Der Bußruf Johann Rists

https://www.lwl.org/westfaelischer-friede-download/wfd-t/wfd-txt1-26.htm

abgerufen am 30.08.2024


Fischer-Lichte,
Erika Geschichte des Dramas 1 – Von der Antike bis zur deutschen Klassik, Tübingen 2010

Fischer-Lichte,
Erika Semiotik des Theaters, Bd. 1+2, Tübingen 2007

Heins, Otto
Johann Rist und das niederdeutsche Drama des 17.Jahrhunderts, Marburg 1930

Jahn, Bernhard
Johann Rists grenzüberschreitendes Theater- Gattungsexperimente und Interkonfessionalität in: Steiger, Johann Anselm (Hrsg.) Bernhard Jahn (Hrsg.), Johann Rist (1607 bis 1667) Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten, De Gruyter, 2015, S. 163-183

Knauer, Martin
Die Beschwörung des Friedens. Johann Rist und der Dreißigjährige Krieg, Beiträge zur Wedeler tadtgeschichte, Bd 3

Molinari, Cesare
Theater – Die faszinierende Geschichte des Schauspiels Freiburg 1975

Mourey, Marie-Therese
Rists Tanz und Balletinventionen in: Steiger, Anselm (Hrsg.) Jahn, Bernhard (Hrsg.), Johann Rist (1607 bis 1667) Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten, De Gruyter, 2015, S. 231-261

Niefanger, Dirk
Rists Theater-Gespräch von 1666, in: Steiger, Anselm (Hrsg.) Jahn, Bernhard (Hrsg.), Johann Rist (1607 bis 1667), Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten, De Gruyter, 2015, S. 185-203

Schröder, Ingrid
Sprachliche Heterogenität in den Dramen Rists, in: Steiger, Anselm (Hrsg.) Jahn, Bernhard Hrsg.), Johann Rist (1607 bis 1667), Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten, De Gruyter, 2015, S. 205-230

Verzeichnis der Abbildungen

Startseite: „Johann Rist und das Theater“

Abb.1
Foto Johann-Rist-Gymnasium

Abb.2
Titelkupfer Monatsgespräch, „Alleredelste Belustigung“, abgerufen im Münchner Digitalisierungszentrum https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb10576821

Abb. 3
Schlusskupferstich des Monatsgesprächs „AllerEdelste Belustigung“ (S.433)

Beitrag: „Wie behandelte Rist das Thema Krieg und Frieden?“

Abb. 1
„Die triumphirende Liebe“ gedruckt bei Jacob Rebenlein, Hamburg Wolfenbütteler Digitale Bibliothek http://diglib.hab.de/drucke/textb-4f-50/00001.jpg

Abb.2
Eirene, Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke München https://abgussmuseum.de/sites/default/files/media/content/img/Eirene%20mit%20dem%20Ploutosknaben_01.jpg

Abb.3
Statue des Mars – Kapitolinische Museen, https://www.museicapitolini.org/sites/default/files/storage/images/musei/musei_capitolini/collezioni/percorsi_per_sale/palazzo_nuovo/atrio/statua_colossale_di_marte_pirro/7655-15-ita-IT/statua_colossale_di_marte_pirro.jpg

Beitrag: „Das Friedewünschende Teutschland (1647) und das Friedejauchzende Teutschland (1653)“

Abb.1
Titelkupfer zu „Das friedewünschende Teutschland“, Münchner Digitale Bibliothek https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10117236?page=2%2C3

Abb. 2
Anton van Dyck Lord John Stuart and his brother, Wikipedia https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/2f/Sir-Anthony-van-Dyck-Lord-John-Stuart-and-His-Brother-Lord-Bernard-Stuart.jpg/270px-Sir-Anthony-van-Dyck-Lord-John-Stuart-and-His-Brother-Lord-Bernard-Stuart.jpg

Abb. 3
Der Brand Magdeburgs, https://image.geo.de/31952486/t/9p/v4/w960/r1.5/-/frueh-am-morgen-laesst-der-picture-1252357378.jpg

Beitrag: „Die komischen Zwischenspiele in Rists Dramen“

Abb. 1
Hogarth – Falstaff prüft die Rekruten in: Cesare Molinari, Theater – Die faszinierende Geschichte des Schauspiels, Freiburg 1975 S. 226

Abb.2
Amman – Der fressende Narr in: Gregor, Joseph Das Bühnenkostüm, Zürich, Leipzig, Wien 1925, Abb. 34

Beitrag: „Die sprachliche Gestaltung der Dramen“

Abb. 1
Alamodische Gesellschaft in: Wolfgang Bruhn, Max Thilke, Kostümgeschichte in Bildern, Tübingen 1963, S. 87

Abb. 2
Offiziere in: Wolfgang Bruhn, Max Thilke, Kostümgeschichte in Bildern, Tübingen 1963, S. 92

Abb. 3
Schäferspielszene, Gesellschaft im Freien, Christian Wilhelm Ernst Dietrich, Dresden, wohl 3.Viertel Jh., arthistoricum-293-978-3-946653-73-8-CH33.pdfAbb. 4. Französischer Kavalier Abraham Bosse 1629, in Erika Thiel, Geschichte des Kostüms S. 343

Abb.4
Französischer Kavalier – Abraham Bosse 1629, in Erika Thiel, Geschichte des Kostüms S. 343

Abb. 5
Soldaten plündern einen Bauernhof, Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/blog/wp-content/uploads/2018/05/csm_header155-1650-665x280_2b46e67f21.jpg

Beitrag: „Auf welche Vorbilder konnte Rist in seinem dramatischen Werk zurückgreifen?“

Abb.1
Wanderbühne in Molinari, Cesare Theater – Die faszinierende Geschichte des Schauspiels, Freiburg 1975, S. 171

Abb.2
Markusplatz in: Duchartre, Pierre Louis La Commedia Dell’Arte, Paris 1955

Abb.3
„Die triumphirende Liebe“ gedruckt bei Jacob Rebenlein, Hamburg Wolfenbütteler Digitale Bibliothek http://diglib.hab.de/drucke/textb-4f-50/00001.jpg

Beitrag: „Das Celler Hochzeitsballet ‚Die triumphierende Liebe‚ von 1653″

Abb.1-7
„Die triumphirende Liebe“ gedruckt bei Jacob Rebenlein, Hamburg Wolfenbütteler Digitale Bibliothek http://diglib.hab.de/drucke/textb-4f-50/00001.jpg

Abb. 8
Comedia dell‘ Arte in: Molinari, Cesare Theater – Die faszinierende Geschichte des Schauspiels, Freiburg 1975 S. 226, S. 163

Abb. 9 Ludwig XIV. als Tänzer https://www.google.com/url?sa=i&url=https%3A%2F%2Fwww.tanz-info.de%2Fder-entstehung-des-balletts&psig=AOvVaw0X6j3NX2d61oJWMHBwUk0D&ust=1717079961369000&source=images&cd=vfe&opi=89978449&ved=0CBAQjRxqFwoTCIiltMiLs4YDFQAAAAAdAAAAABAE

Beitrag: „Welche Bedeutung schrieb Rist dem Theater zu?“

Abb. 1
Vase von Pronomos in: Molinari, Cesare Theater – Die faszinierende Geschichte des Schauspiels, Freiburg 1975 S. 226, S. 33

Abb.2
Titelkupfer Monatsgespräch, „Alleredelste Belustigung“, abgerufen im Münchner Digitalisierungszentrum https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb10576821

Abb. 3
Pyramus und Thispe https://www.wikiwand.com/de/Datei:Woodcut_illustration_of_Pyramus_and_Thisbe_-_Penn_Provenance_Project.jpg

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