Das Celler Hochzeitsballet „Die Triumphirende Liebe“ von 1653

Multimediales Spektakel für die Fürstenhochzeit

Abbildung 1 Kupferstich Bühnenbild Wald   

Das Ballet „Die Triumphirende Liebe“ war eine Auftragsarbeit, für die Johann Rist 200 Reichstaler erhielt. Vieles spricht dafür, dass nicht nur der Text, sondern auch die Gesamtkonzeption von Rist stammt. [1]

Unter welchen Umständen wurde das Ballet aufgeführt? 

Das Ballet wurde anlässlich der Hochzeit des Herzogs Christian Ludwig von Braunschweig Lüneburg und der Herzogin Dorothea von Schleswig, Holstein, Stormarn und Dithmarschen, Gräfin zu Oldenburg und Delmenhorst nur ein einziges Mal vor geladenem Publikum aufgeführt. Im Burgsaal des Celler Schlosses wurde eigens für diese Aufführung eine Bühne gebaut, die über neueste Bühnentechnik verfügte, so dass besondere Effekte erzielt werden konnten.  

Vor der Vorstellung erhielt das Publikum als eine Art Programmheft einen Druck mit vielen Abbildungen (vgl. die Abbildungen in diesem Kapitel) und den von Rist gedichteten Texten. Auf diese Weise konnten die Zuschauer im Heft nachlesen, wenn sie eine Figur auf der Bühne nicht zuordnen konnten oder sich ihnen die Handlung nicht erschloss. Die Risttexte konnten also vor, während und nach der Vorstellung gelesen werden. 
Im zweiten Teil der Veranstaltung, im Ballet von den Römischen Helden, traten der Herzog und seine Brüder selber auf.  
Man kann also sagen, dass im Hofballet, das die adlige Hofgesellschaft für sich selbst inszeniert, diese zugleich Akteur, Veranstalter und Zuschauer ist.  

Welche Rolle spielte Johann Rist?  

Abbildung 2 Rist übergibt die Textfassung

Rist war als Verfasser anwesend. Diese Abbildung, im Druck auf der ersten Seite nach dem Titelblatt, zeigt eine Figur, die dem Fürstenpaar wie dem Publikum die Dichtung überreicht. Man darf vermuten, dass es sich bei der Abbildung um Rist selber handelt, der aber nicht kniend oder mit einer Verbeugung, wie solche Übergaben traditionell erfolgten, sondern aufrecht stehend, aber stumm wie das Ballett, ohne Nennung seines Namens erscheint – ein Zeichen des Selbstbewusstseins und der Bedeutung des gerade in den Adelsstand erhobenen Dichters.

Wie Rist war auch der Herzog Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“. Möglicherweise wurde Rist deshalb als Autor ausgewählt. Da Rist auch schon eine Hochzeitsrede für die Schwester des Herzogs gehalten hatte, lag es nahe, den Dichter aus Wedel erneut zu beschäftigen.



Um welche Art von Darbietung handelte es sich beim Hochzeitsballet?

Abbildung 3 Kupferstich, Brennende Herzen

Das Spektakel darf mit Recht als multimediales Ereignis bezeichnet werden. Es wurde an nichts gespart. Neben dem Tanz spielte die Musik eine zentrale Rolle. Musikalische Zwischenspiele leiteten einzelne Aufzüge ein, es wurden aber auch Lieder auf der Bühne gesungen, von Instrumentalisten begleitet, etwa wenn im 17. Aufzug Pan mit Waldgöttern und Schäfern auftritt.  
Damals modernste Bühnentechnik sorgte dafür, dass z.B. ein Engel über der Bühne schwebend ein Lied singen konnte. Ganz besonders aufwändig waren die Kostüme und Bühnenbilder.   
Den größten Überraschungseffekt erzielte sicherlich das Erscheinen zweier brennender Herzen, die von den Tugenden (Vorsichtigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Stärke, Beständigkeit und Aufrichtigkeit) umtanzt werden. Cupido, der römische Liebesgott, tritt auf und führt die Herzen zueinander, worauf sich das größere Herz öffnet und das kleinere in sich aufnimmt. Daraufhin brennen die Herzen nicht mehr, sondern beginnen zu grünen und zu blühen, indem Lorbeer-, Öl- und Palmzweige sprießen und Rosenblüten ausgestoßen werden. 
Das Stück ist bei allem Abwechslungsreichtum klar gegliedert:  
Das Schauspiel beginnt mit dem Auftritt von Fama, die den Inhalt des Ballets für die Zuschauer vorliest. Das Thema, der Sieg der Tugenden über das Laster, welches in der Barockzeit sich großer Beliebtheit erfreute, wird in verschiedenen Variationen durchgespielt, wobei alle Teile der Gesellschaft jeweils mit ihren Lastern vorgestellt werden. Es folgt eine bunte Mischung einzelner Szenen, kein Handlungsballett, sondern eine bewegte Bilderschau. Dabei wechseln sich Solo- und Gruppenauftritte ab. 

Welche Figuren treten auf? Beispiel 1 

Das Bühnenbild, das zunächst durch einen Vorhang verdeckt war, stellt zu Beginn einen Wald vor (s.o.). Es treten vier Tänzer in Bärenkostümen auf, die einen Fackeltanz vollführen: 

Wie soll dieser Tanz auf den Zuschauer wirken? 

Abbildung 4 Tanz der Bären

Die Vorführung dressierter wilder Tiere war seit dem Mittelalter ein volkstümliches, sehr beliebtes Spektakel, galten und gelten doch besonders Bären als gefährliche wilde Tiere. Hier greift Rist auf traditionelle Volksbelustigungen zurück. Andererseits wurde im höfischen Kontext ein Fackelzug bei besonderen Anlässen, wie z.B. Hochzeiten, von den Höflingen inszeniert, auch das hat seine Auswirkungen bis in die Neuzeit gehabt (vgl. 30.01.1933).  Rist erfindet hier also eine „kunstvolle Mischung aus volkstümlicher Belustigung und aristokratisch höfischem Ritual“. [2]
Damit auch jeder Zuschauer die Szene verstehe, lässt Rist Fama zu Beginn folgendes erklären:  

„Die wilden und unbändigen Thiere kan man endlich zähmen/ etliche mit Liebkosen und freundlichen Worten/ etliche mit harter Straffe/Peitschen und Schlägen: Die verwilderte Menschen aber lassen sich weder durch freundliches bitten / noch hartes Schelten oder zorniges Zusprechen aus der Verfluchten Lasterbahn leiten / und befinden sich die Untugenden nicht nur in einem / sondern in allen Ständen / bey geistlichen und Weltlichen / bey Stat- und Hofeleuten / bey Gelehrten und Ungelehrten / bey Soldaten und Advokaten / bey Bürgern und Bauren / bey Kauf- und Handwercksleuten / und in Summa / bey allerhand Ahrt der MenschenKinder auf Erden…“ [3]

Welche menschlichen Figuren werden vorgeführt? (Beispiel 2: Die Laster)

Abbildung 5 Allegorische Figuren

In den folgenden Aufzügen (2 bis 10) werden einzelne Amtsträger oder Vertreter der Gesellschaft mit ihren Lastern vorgestellt. So tritt z.B. im vierten Aufzug der Staatsmann, bekleidet mit Schaube und Pelzkragen, auf und wird von seinen Lastern eingerahmt, die an ihren Kostümen gut zu erkennen sind: Es sind dies der Ehrgeiz, eine Frauengestalt mit aufwändigem Pfauenkopfschmuck, die Tyrannei, zu erkennen an der Sense und dem misshandelten Kleinkind, und der Meineid mit lauter zerrissenen Verträgen in der Hand und am Gürtel. Die Zeitgenossen konnten anhand der Embleme die Figuren einordnen (und notfalls das Programmheft zur Hand nehmen).

Beispiel 3: Die Tugenden

Nach dem 11. Aufzug wandelt sich das Bühnenbild in einen wohl geordneten, die gezähmte Natur vorstellenden Garten.  

Abbildung 6 2. Bühnenbild Garten

Nachdem eine „gahr liebliche Instrumentalmusik“ gespielt wurde, tritt ein Guter Geist oder Engel auf und singt ein Lied, das den Übergang zur Vorstellung der Tugenden einleitet.

Endlich hab‘ ich obgesieget
Und den Preiß davon gebracht /
Seht / die Laster sind bekrieget
Und zu Sklaven gantz gemacht /
Freudig hab‘ Ichs itz gewaget
Und die lose Zunft verjaget /
Daß Sie nicht mehr wohn‘ alhier /
Edle Tugend komm‘ herfür.

Abbildung 7 blühende vereinigte Herzen

Wie schon anfangs dargestellt, umtanzen am Ende die Tugenden, Vorsichtigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Stärke, Beständigkeit und Aufrichtigkeit die beiden Herzen der Verliebten. Wie auch die Laster sind sie Allegorien, d. h. als menschliche Figuren dargestellt Begriffe. Das Spektakel endet mit dem Tanz von 12 römischen Helden, u.a. Scipio Africanus, Titus Flaminius, Marcius Coriolanus, die sich jeweils in einer Tugend ganz besonders hervorgetan haben, vier davon wurden von den Welfenprinzen verkörpert. Im 2. Programmheft des Abends, das getrennt vom ersten verteilt wurde, heißt es dazu am Ende, da ja die Laster vertrieben und die Tugenden eingeführt wurden, „wir hinführo die verjagte und vertriebene Laster nach äusersten unsern Kräfften und Vermögen weiters verfolgen / und von diesem Orte abhalten / die schönen liebreichen Tugenden aber kräfftiglich schützen / fortpflanzen und erhalten wollen ..“ [4]

Was ist das Neue an Rists Ballet?

Als Johann Rist sein Ballet schrieb, konnte er auf eine langjährige Bühnenerfahrung zurückgreifen. Sein Werk zielte vor allem auf Wirkung ab: durch Pracht und Pomp in Bühnenbild und Kostümen, durch Überraschungseffekte, die sich aus einer guten Kenntnis von technischen Möglichkeiten ergaben, und durch das intensive Zusammenspiel von visuellen und akustischen Reizen durch Tanz, Musik, Gesang, Kostüme, Bühnenbild und Beleuchtung.
Rist hatte viel Theater selbst gesehen und sich auch von Freunden und Bekannten deren Theatererfahrungen berichten lassen. Vieles erfand er nicht neu, sondern griff auf Altbewährtes zurück.

Seit der Renaissance erfreuten sich Bühnendarstellungen mit allegorischen Figuren großer Beliebtheit. Die Zuschauer kannten die Attribute der einzelnen Figuren und konnten sie zuordnen oder enträtseln. Die comedia dell‘ arte hatte unterstrichen, wie wichtig auch eine ausdrucksvolle Körperhaltung und Gestik waren. Auch das nahm Rist in sein Ballet auf.

Abbildung 8 – Figur aus der Commedia dell’arte

Der Widerstreit von Lastern und Tugenden war ein gängiges und beliebtes Thema, das Rist selbst auch schon in anderen Stücken, z.B. in der Irenaromarchia, verwendet hatte.

Dennoch ist die Mischung von Einzel- und Gruppenszenen sowie der Wechsel von Erhabenem und Grotesk- Komischem etwas durchaus Neues, weil Rist das Publikum keinesfalls langweilen wollte. Für ihn war die Schaubühne der zentrale Ort, um „docere und delectare“ zu verbinden.

Letztlich blieb das Ziel des Pastors aus Wedel aber immer die moralische Erziehung des Menschen. Rist war fest davon überzeugt, dass das Bühnenschauspiel beim Zuschauer Affekte hervorrufen wird, die Menschen zu der Einsicht bringen, dass sie sich den Tugenden zuwenden und von den Lastern abwenden müssen.

Rists Ballet wurzelt in alten Traditionen, die von den Fastnachtsspielen bis zum Jesuitendrama reichen. Aber er vermengte sie mit Anregungen, die er vom Besuch englischer und holländischer Theatertruppen erhielt. Insofern leistete Rist einen wichtigen Beitrag zur Etablierung einer neuen Schauspielkunst in Norddeutschland.

Abbildung 9 – Ludwig XIV. als Tänzer

Eigentlich modern jedoch war das Ballet nicht. In Frankreich entwickelte sich eine ganz neue Form der Hofballetts. Im gleichen Jahr, als „Die Triumphirende Liebe“ aufgeführt wurde, trat der 15-jährige Ludwig XIV. als Sonne in einer neuen Form des Hofballets auf. Dem gegenüber ist das Werk Rists deutlich traditioneller.


1 Vgl. dazu: Marie-Therese Mourey „Rists Tanz und Balletinventionen“ , in Johann Anselm Steiger, Bernhard Jahn (Hrsg.), Johann Rist (1607 bis 1667) Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten, De Gruyter, 2015, S. 231-261. Die Schreibweise „Ballet“ soll hervorheben, dass es sich nicht um ein Ballett handelt.
2 Vgl. Mourey, Marie-Therese a.a.O. S. 254
3 Rist, Johann, Die Triumphirende Liebe
4 Ebenda

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