
Abbildung 1 Titelkupferstich zu Rists Drama Das Friedewünschende Teutschland [1]
Beide Stücke sind von Rist für eine Wanderbühnentruppe geschrieben worden, und zwar für eine aus Königsberg stammende Studententruppe unter der Leitung von Andreas Gartner oder Gärtner [2]. Weil es in Hamburg erst ab 1678 eine Spielstätte in einem Gebäude gab, wurde Das Friedewünschende Teutschland 1647 [3] dortselbst auf offener Bühne im Freien aufgeführt, war sehr gut besucht und kam bestens beim Publikum an. Auch anderswo, vor allem in den protestantischen Reichsstädten in Süddeutschland, wurde das Drama mit viel Erfolg gespielt. [4] Typisches Merkmal von Wanderbühnentexten ist, dass sie nicht in Versen, sondern in Prosa verfasst sind. Das verlieh den Darstellern mehr Gestaltungsspielraum. So konnte beispielsweise bei akustischen Störungen die Passage wiederholt, bei Ungeduld des Publikums spontan Text gestrichen werden, ohne dass es zu wahrnehmbaren Brüchen kam. Rists Friedensspiele sind rein allegorische Stücke [5]. In der Konzeption griff Rist auf bekannte Vorbilder zurück. Die Musik, sowohl die Instrumentalmusik als auch die Vertonung der Lieder, stammt von Michael Jacobi, dem Lüneburger Kantor. Das einzige Lied im FwT wurde später durch 4 weitere musikalische Einlagen erweitert, das FjT enthält 17 Lieder und kann daher zu Recht ein Singspiel genannt werden.
Im FwT steigen von den „Eliseischen Feldern“ die deutschen Helden Ariovist, Hermann, Klaudius Civilis und Widukind herauf, um sich ein Bild vom Zustand Teutschlands zu machen. Die Besucher werden von Merkur im ersten Aufzug vorgestellt. Ariovist,
„welcher zu des ersten Römischen Käysers Julii Zeiten hat geherrschet und ein tapferer Krieges=Mann, auch hertzhaffter Beschirmer der Teutschen Freiheit gewesen, mahssen er sich denn mit dem vorgedachten Julio Caesare rechtschaffen herümmer geschmissen (…) Der vierdte ist der weltberühmte Heerzog Widukind, welchem dem großen Käyser Karl über die Mahssen viel zu schaffen gemachet, indeme er die Freiheit seiner Sachsen mit einer unaußsprechlichen Hertzhafftigkeit hat beschirmet… [6]
Es sind also durchaus keine Friedensfürsten, die Rist in seinem Stück auftreten lässt, sondern militärische Anführer, Vertreter einer konstruierten Nationalgeschichte, die es so nie gegeben hat. Die nationalistische Tendenz des Stückes wird noch unterstrichen, wenn das verblendete Teutschland den genannten „Helden“ die Anerkennung verweigert, sie als „plumpe und indiscrete Kerls“ beschimpft und ihres Hofes verweist. Stattdessen lobt sie ihren eigenen Hofstaat:

„Meine Teutschen Printzen, Edelleute und favoriten wissen sich ein wenig besser zu comportiren, ja, so nettement nach der Französischen manier in Kleidern, Geberden, Worten und allem ihrem Thun und Lassen zu halten, daß man sich zum allerhöhesten darüber kan delectiren.“ [7]
Teutschland befindet sich nach Rists Auffassung auf einem Irrweg, weil es sich ganz und gar dem sog. Alamodewesen verschrieben hat, der Ausrichtung des kulturellen Lebens am französischen Vorbild. Das kritisiert Rist auf das schärfste in seinen Dramen, wobei er insbesondere die Sprache und die Kleidung in den Vordergrund rückt.
Wie hier auf einem Gemälde van Dycks (Lord John Stuart and his brother) von 1638 war die am Hofe Ludwigs XIII. von Frankreich aufgekommene Mode gekennzeichnet von spitzenbesetzten glänzenden Stoffen, Stulpenstiefeln aus weichem Leder mit Sporen und (außerdem) großen Federhüten. Dagegen sind die „teutschen Helden“ bei Rist „auf eine gar alte Manier bekleidet / mit auffgebundenen langen Haren / grosse Streitkolben in den henden haltend“, [so] verkörpern sie die „deutschen Tugenden“ Nüchternheit, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit und Treue. [8]
Als der personifizierte Friede am Ende des 1. Aktes des FwT für die abgelehnten „deutschen Helden“ Partei ergreift, wird er von Teutschland ebenfalls verjagt. Das alamodisch ausgerichtete Teutschland, das sich von der Wollust begleiten lässt und sich für die „allergrößte Dame von ganz Europa, groß von Macht / herrlich von Taten“ [9] , hält, empfängt dagegen vier Fremde: Don Antonio (Spanier), Monsieur Gaston (Franzose), Signoro Bartholomeo (Kroate) und Herrn Karel (Schwede) und beschenkt sie überreich. Sie kostet beim Festmahl von den mitgebrachten ausländischen Speisen und schläft ein. Unterdessen kommen die Fremden überein, Teutschland von Mars überfallen zu lassen, nachdem sie ihr das Kleinod „Concordia“ [10] gestohlen haben. Teutschland wird ausgeplündert und in das Quartier des Mars verschleppt. Die Szene wird im Titelkupfer (s.o.) festgehalten: Man sieht die vier alamodisch gekleideten ausländischen Herren, die bewaffnet auf das hilfslose Teutschland eindringen. Im Hintergrund sind angedeutet die Zeichen des Krieges zu sehen: Feuer und Zerstörung.

Als Teutschland im 3. Akt schließlich durch Hunger, Pest und Tod gepeinigt und kaum noch lebensfähig den Wert des Friedens erkennt, zeigt es sich nach langem Zureden bereit zur Reue und wird vor Gottes Thron geführt.
Monolog des friedewünschenden Deutschlands gesprochen von Dagmar Laurens
Gott gibt nach einer Art Gerichtsverhandlung dem reuigen Teutschland den Mantel der Hoffnung mit, verspricht ihm den Frieden aber erst dann, wenn es ein christliches Leben führt. [11]
A
Beide Grundgedanken, auf denen das Drama fußt, müssen aus der Zeit verstanden werden. Zum einen wird der Verfall Deutschlands durch die Abkehr von einem vermeintlichen Deutschtum, die Zuwendung zur alamodischen Kultur und die Einflussnahme ausländischer Mächte herbeigeführt. Mit seinen wiedererweckten „Helden“ versucht Rist, deutsche Geschichtsmythen wiederzubeleben. Vor allem der Appell zur Rückkehr um ‚wahren Deutschtum‘ und zur Abkehr von der ‚Überfremdung‘ bescherte dem FwT mehrere Neuauflagen und Aufführungen, bezeichnenderweise 1806, 1864, 1915, 1919, 1923 und 1948. [12] Im Vorwort Schletterers zur Neuauflage des FwTs und des FjTs wird der nationale Aspekt überbetont und Rist für die Nationalbewegung vereinnahmt.
„O möchten doch die mahnenden Worte des alten Dichters, der hier in neuem Gewande vor unsere Zeit hintritt, nicht nutzlos verhallen! Möchte seine schlichte Rede uns fortwährend anspornen, dem Ziele nachzustreben, dessen Erreichung uns bis zur Stunde versagt blieb.“ [13]
Zum anderen versteht Rist, der Wedeler Pastor, den Krieg als eine Strafe Gottes für die Lasterhaftigkeit der Menschen. Nur durch Sündenerkenntnis und Reue könne der Frieden als Gabe eines gnädigen Gottes wiedererlangt werden.
Andererseits darf auch nicht übersehen werden, dass sich Rist in politischer Hinsicht einen unabhängigen Blick bewahrte. Er nahm keine einseitigen Schuldzuweisungen vor oder stellte sich auch nicht auf die Seite einer einzelnen Kriegspartei. Für einen evangelischen Pastor dieser Zeit ist es zumindest ungewöhnlich, dass er zwischen den Konfessionen keine Unterschiede machte und auch keiner sozialen Gruppe die Schuld am Krieg zuschrieb. Lasterhaftigkeit ist für Rist ein gesamtgesellschaftliches Problem, er sieht sie in allen Ständen, nicht nur bei den Bauern oder nur bei den Höflingen.
Schließlich muss betont werden, dass Johann Rist auch kein Pazifist war. In seinen Stücken wird auch der gerechte Krieg gutgeheißen, so ist z. B. in der Irenaromachia von „rechtmäßigen, nützliche[n] und nothwendigen Kriegen [14] die Rede. Brutalität der Soldaten im Krieg gegenüber der Zivilbevölkerung, wie sie sich bei der Erstürmung Magdeburgs gezeigt hatte, prangert Rist als Zeichen der Gottlosigkeit und Lasterhaftigkeit an. Dem ruhmsüchtigen Soldaten „miles gloriosus) stellt er den „miles christianus“[15], den rechtmäßigen Streiter Gottes gegenüber. [16]
1 https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10117236?page=2%2C3
2 Vgl. Jahn, Bernhard, Rists grenzüberschreitendes Theater S. 169, Gartner hatte Rist 1646 um ein Stück gebeten
3 Das Stück wurde als Hörspiel bearbeitet und am 24.10 1948 bei Radio Bremen ausgestrahlt. (nicht erhalten)https://hoerspiele.dra.de/vollinfo.php?dukey=1543352&SID
4 Vgl. Jahn, Bernhard, a.a.O. S. 168
5 Es treten allegorische Figuren auf, das heißt z.B., dass Teutschland als weibliche Figur erscheint. Zu erkennen sind die Figuren an bestimmten Emblemen oder sie werden vorgestellt wie in diesem Fall.
6 Risten, Johann, Das friedewünschende Teutschland und Das friedejauchzende Teutschland, Augsburg 1864, Nachdruck Forgotten Books, London 2017, S. 4f.
7 Textausgabe S. 19
8 Zit. nach Martin Knauer, Die Beschwörung des Friedens. Johann Rist und der Dreißigjährige Krieg, Beiträge zur Wedeler Stadtgeschichte, Bd 3, S. 19
9 Ebenda S. 18
10 lat. Einigkeit
11 Eine ausführliche Inhaltsangabe und Einordnung der beiden Friedensdramen ist zu finden bei Brecht, Martin, Evangelische Friedensliteratur: Der Bußruf Johann Rists, Forschungsstelle „Westfälischer Friede, Münster, Stand der Seite: 2. Mai 2002, abgerufen am 30.08.2024, https://www.lwl.org/westfaelischer-friede-download/wfd-t/wfd-txt1-26.htm
12 Vgl. Heins, Otto, Johann Rist und das niederdeutsche Drama des 17. Jahrhunderts, Marburg 1930, S. 102 „immer in den Jahren der tiefsten Erniedrigung des Vaterlandes“, 1948 Hörspiel bei Radio Bremen, Regie Gerd Westphal
13 Risten, Johann, a.a.O. Vorwort H.M. Schletterers vom 19.11.1863, S. VI
14 Zit. nach Knauer a.a.O. S. 22
15 Diese Unterscheidung gibt es schon in der römischen Antike.
16 ebenda