Dahero ich genötiget ward …
Nach englischem Vorbild baute Rist in seine Dramen Zwischenspiele ein, in denen vor allem Vertreterinnen und Vertreter der unteren Stände auftreten: Bauern, Schankwirte, Diener, Soldaten und Unteroffiziere. Diese sprechen oftmals Dialekt, meist Plattdeutsch. Damit durchbricht Rist für die deutsche Literatur seiner Zeit gültige Regeln, wonach in der Tragödie nur Personen von Stand vorkommen sollten.
Unschwer lässt sich aus dem Dialog Rists Gesellschaftskritik herauslesen. Im FwT und im FjT ist der Aufschneider Sausewind die wichtigste Figur der Zwischenspiele. Der Student lässt sich von Mars dazu verführen, in den Soldatenstand einzutreten (FwT, Zwischenspiel 2), indem er hervorhebt, dass sich Soldaten alle Güter mit Gewalt aneignen dürfen.
„Sausewind: (…) es ist wol hoch zu beklagen und hertzlich zu bedauren, daß Kunst, Geschikligkeit, Verstand und Tugend gar so wenig wird geachtet. Aber gestrenger Herr, (…) so wolle er mich berichten, warum er doch die Gelahrten so gar wenig achte und seine Kriegsleute über alle andere erhebe?
Mars: Eben darum, Monsieur Sausewind, dieweil die Gelahrte insgemein armselige Tropfen sind, welche mit alles ihrer Kunst bei diesen martialischen Zeiten kaum das liebe Brod können erwerben; da ich und meine getreue Vasallen, aller Dinge, so zu Belustigung menschlichen Lebens dienen, einen Ueberfluß haben, angesehen man uns alles contribuiren muß, was wir nur wünschen und begehren.“ [1]
Die Verbindung zur Haupthandlung ist lose, einige Figuren, wie z.B. der ehrenwerte Soldat Degenwerth, sind in beiden Teilen vertreten. In den Zwischenspielen verwendet Rist komische Handlungsversatzstücke, die allgemein bekannt und beim Publikum ein Erfolg waren, wie z.B. dass jemand in einen Sack gesteckt und dort in irgendeiner Weise drangsaliert wird (vgl. Perseus).
Auch die Figuren, z.B. Unteroffizier Hans Knapkäse, sind den englischen Vorbildern wie Pickelhering [2] oder Shakespeares Falstaff sehr ähnlich. Schon in der antiken römischen Komödie gibt es den „miles gloriosus“, den Aufschneider und Feigling.
Knapkäse hat Züge von diesen Figuren. Komik entsteht, wenn Rist stummes Spiel vorschreibt, z.B. wenn der Korporal Knapkäse mit dem Bauern Laban ficht:
„Hans wirfft 2. Degen von sich / fechtet gahr verzaget / kriegt von Laban mit dem flachen Degen ziemliche Ohrfeigen/endtlich lesset er den Degen fallen / schüttelt den Kopff / vnd spricht: Ey lasset vns die Narrey vor dißmahl bleiben lassen.“ [3]
Knapkäse erklärt dem Bauern Laban, dass er vor allem fluchen lernen muss, wenn er ein Soldat werden will. Als Laban das jedoch umsetzt, kommt es zu folgendem Dialog:
Laban: Ey datz yw der Zeubel hohl(…)
Hans: Fluchest du mir abermahl du grober Rültz/par dieu ich muss dich keilen. Er will ihn schlagen.
Laban: Ey latzet dat blyfen/watz den Deubel schal datz bedüden/eir habt michs jo befahlen/datz ich braff fluchen solte/ich make es so guht ichs kan. [4]
Der Dialog ist lebendig gestaltet, die Szenen gleiten allerdings leicht in die Parodie ab und Rist rechnete auch damit, dass die Komödianten ab und zu ein Extempore einlegten. Oft steht in den Regieanweisungen, dass sich die Darsteller (wie heutzutage beim Kasperletheater) direkt an das Publikum wenden sollen.
Die Bauern werden meist als ungehobelt und dumm dargestellt. Andererseits wird die Wirklichkeit des Krieges in den Zwischenspielen weitaus deutlicher als in der Haupthandlung: die Verrohung der Bauern, die Allgegenwart des Krieges. Als Degenwerth die Bauern fragt, warum sie trotz allem so fröhlich sind, antwortet Breneke:
„Schnik, schnak, schyht, scheet, wat jebben wie usk üm den Krieg to schehren? Krieg hen, Krieg her, wenn wi in uses Krögers, Peter Langwammes, sinem Huse man frisk wat toh supen hebbet, so mag id gahn als id geid, ein Skelm de dar nich alle Dage lustig und goier Dinge mit ist.“ [5]
Von diesen unterhaltsamen Zwischenspielen hat sich Rist im Monatsgespräch distanziert. Er entschuldigt sich dafür, indem er ausführt:
„Als ich meine ersten Tragödien spielete/ ward zwahr dieselbe von Verständigen und dieser Kunst erfahrnen Leuten nicht weinig gelobet/die meisten aber waren nicht allerdinges damit zufrieden/allein darum/weil keine sonderliche Pickelherings-Possen mit untergemenget wurden/dahero ich genöhtiget ward/zu einer jedweden tragischen oder traurigen Handlung/derer insgemein drey/ein lustiges Zwischen-Spiel/sonst interscenium genand/(die gleichwol mit dem rechten Hanbtwercke/eigendlich nichtes zu schaffen hatten/) zu setzen/worauf meine Spiele alsobald ein großes Lob erlangeten […]. [6]
Um die Bühnenwirksamkeit der Stücke zu erhalten, lässt sich Rist auf eine Mischform ein. Erst ein knappes Jahrhundert später wurden die komischen Figuren im Zuge der Aufklärung von der Bühne verbannt.
1 FwT a.a.O. S. 51
2 Pickelhering ist die Bezeichnung für eine komische Figur der englischen Komödiantentruppen.
3 Textausgabe Perseus S. 29
4 Ebenda; … ei lasst das bleiben, was zum Teufel soll das bedeuten, ihr habt mir das ja befohlen, dass ich brav fluchen sollt, ich mache es, so gut ich’s kann.
5 FjT Text S. 128, …was haben wir uns um den Krieg zu scheren? Krieg hin, Krieg her, wenn wir in unseres Wirtes Peter Langwammes Hause frisch was zu saufen haben, so mag es gehen, wie es will, ein Schelm, der da nicht alle Tage lustig und guter Dinge ist.
6 Text Monatsgespräch S. 228 f.MDZ https://kxp.k10plus.de/DB=1.28/CMD?AC=SRCHA&IKT=8079&TRM=%2723:248840D%2